Christian Holl
Entwurf und Methode
Die Entwurfsstrategie muss kraftvoll genug sein, um auf Veränderungen reagieren zu können. In der Frage, mit welcher Methodik Entwürfe im Büro schneider+schumacher entwickelt werden, gibt es keine Antwort, die einen immer wieder ähnlich beschrittenen Weg aufzeigen würde. Dafür ist das Spektrum der Bauten zu breit. Nicht nur die Aufgaben unterscheiden sich – Industrie- und Bürobauten, Museen, Wohnungs- und Bildungsbauten, eine Kirche, Hotels, Brücken – auch die Maßstäbe und Kontexte variieren. Das Büro bearbeitet Aufgaben im großen städtebaulichen wie im kleinen Maßstab des Möbels, Neubauten gehören wie Sanierung und Umbau zum Repertoire. Mal bietet der Kontext Anregungen, „flüstert einem etwas zu“ (Till Schneider), mal wird auf der grünen Wiese gebaut. Das belastbare Fundament, das auch Entwicklungen im Entwurfsprozess mittragen können muss, hängt daher viel mehr davon ab, zu Beginn den richtigen Zugang zum Thema zu finden. Die wichtige Frage am Anfang ist daher die, worauf es eigentlich ankommt: auf die repräsentative Wirkung, auf die Funktion, auf eine bestimmte Atmosphäre. Entwerfen gleiche einer Denksportaufgabe, so Michael Schumacher – sie muss die unterschiedlichen Aspekte zur Deckung bringen und dabei den Schwerpunkt auf das Spezifische der Aufgabe setzen.
Beim Museum Sowjetisches Speziallager ging es darum, eine Atmosphäre der Zurückhaltung zu erzeugen, aber dennoch die Bedeutung des Ortes nicht aus den Augen zu verlieren. An diesem geschichtlich geprägten, belasteten Ort wäre jede Geste der Repräsentation unpassend gewesen – zumal der Kontext keine Inszenierung von Macht ist, sondern durch ein kaltes Kalkül der Pragmatik gekennzeichnet ist. Die Mauern, die das Areal einfassen, scheinen mit 2,40 Metern nicht sonderlich hoch, sie bleiben aber für einen Menschen ohne weitere Hilfsmittel dennoch unüberwindbar. Das Gebäude, das schneider+schumacher entworfen hat, sollte diese Mauer nicht überragen. Es ist daher so eingegraben, dass es diesen Anspruch erfüllt. Der schwarze Beton der Fassaden ist so glatt poliert, dass er die Umgebung spiegelt. Das Museum verschwindet nicht, aber der niedrige Eingang und die bewusst dicht angeordneten Träger erzeugen eine Intensität, die den Besucher deutlich spüren lässt, an welchem Ort er sich befindet.
Wir finden aus der Analyse dessen, was in einer Aufgabe eine besonders große Bedeutung hat, meist assoziativ zu einer Strategie.
Till Schneider
Als ein Urerlebnis bezeichnen Michael Schumacher und Till Schneider die Eingangshalle für Trust, der erste Auftrag des Büros. Ursprünglich war eine Sheddach-Konstruktion geplant – doch der Generalunternehmer hatte wegen einer Verwechslung der Konstruktionselemente mit Blumentrögen erst spät festgestellt, dass das geplante Sheddach zu teuer werden würde. Kurzfristig wurde deswegen am Wochenende umgeplant und die Sheddächer ausgetauscht gegen Dächer mit Über- statt Unterzügen.
Seither sei man willens, Störungen aufzufangen – dann könne man Neuland entdecken, so Michael Schumacher. Und man kann mit ungewöhnlichen Aufgaben umgehen. Beispiel hierfür ist das Gebäude für J. Walter Thompson in Frankfurt an der Hanauer Landstraße. Für das Grundstück lag ein genehmigter Bauantrag vor – allerdings für ein Getränkelager – der nun für die Ansprüche einer Werbeagentur angepasst werden musste. Der Clou ist der große Glasraum nach Norden mit punktgehaltenen Glasscheiben, der wie ein Schaufenster das Gebäude selbst ausstellt und im Sommer – das Haus hat keine Klimaanlage – für Luftzirkulation sorgt. So funktioniert das Gebäude auch heute noch, auch wenn es, zurückgesetzt von der Straße von ihr – wegen anderer Bauten – nur zum Teil zu sehen ist.
Die starke Grundordnung hilft in der Kommunikation – sie ist gleichzeitig präzise Beschreibung des Aufgabenverständnisses, das die Schwerpunktsetzungen umreißt, ohne sie auf eine inhaltliche Erzählung, auf ein Bild festzulegen. Sie muss eine Komplexität der Ansprüche repräsentieren, die im Entwurf zur Deckung gebracht werden, ohne diese Komplexität demonstrativ nach außen zu tragen.
Architektur ist für schneider+schumacher nicht das Entwerfen von Bildern, nicht die Repräsentation von Symbolen, sondern die in der Sprache der Architektur eingefangene Komplexität der Aufgabe. Schönheit ist hier keine Frage der Dekoration, sondern der Kunst, Komplexität in einer klaren Form zu fassen. Es ist die Schönheit der Mathematik, der Gotik, der stimmigen Proportionen, wie sie sich bei Palladio ebenso wie bei Le Corbusier finden lässt. Es ist die Schönheit, die eine präzise abstrakte Kunst ausstrahlt, sei es bei Blinky Palermo, bei Bridgette Riley, sei es bei Bildern von Max Bill; eine Schönheit, die aber genauso in dem aufscheint, was Bernhard Rudofsky in den 1960er Jahren zusammengetragen und als „Architektur ohne Architekten“ veröffentlicht hat: die anonyme Architektur von Nomaden, von Ureinwohnern, die sich aber ebenso im traditionellen regionalen Bauen in Europa finden lässt. Sie folgen bestimmten Mustern, die in höchstem Maße praktisch und funktional sind; Christopher Alexander hatte dies in „Pattern Language“ dargelegt. Er hat auch gezeigt, dass die Muster in einem Verhältnis zum gesellschaftlichen Kontext stehen; dann aber auch – so sollte man dies weiterdenken – in einem zur verfügbaren Technik, zum verfügbaren Material. So lassen sich genauso gut und richtig Bezüge zu den Entwürfen von Thomas Herzog herstellen: Sie sind nicht als eine Formidee entwickelt, sondern aus dem Bedürfnis, die richtige Gestalt für eine Architektur zu entwickeln, die die Sonnenenergie als Wärmequelle aktiv in das Hauskonzept einbindet.
Jedes Fachwerkhaus ist aus der Logik der Konstruktion entwickelt. Hieraus lässt sich Architektur dauerhaft verankern. Das ist ein anderer Weg, Architektur zu verstehen. Eben nicht als ein Designspektakel, wie es heute allzu oft geschieht. Michael Schumacher
Dieses Zitat macht verständlich, was es bedeutet, wenn Michael Schumacher sagt „Wir bauen lieber Segelboote als Motorboote“ – die Eleganz des Segelbootes kommt aus der großen Abhängigkeit von den Bedingungen, die eine engen Rahmen lassen, innerhalb dessen die Funktion tatsächlich erfüllt werden kann – und gerade dort die Schönheit entsteht – das Emotionale wird aus dem Rationalen entwickelt. Deswegen ist es sinnvoll, die Potenziale des Rationalen auszuloten. So ist das parametrische Entwerfen im Büro schneider+schumacher seit Jahren ein fester Bestandteil und führte zu effizienten Konstruktionen wie der hölzernen Rippenkonstruktion der Autobahnkirche oder den drei ineinander geschobenen Schalen des Frankfurt Pavilions auf der Buchmesse.
Auch dann, wenn aufgrund sich ändernder Rahmenbedingungen umgeplant werden muss, trägt die Idee das Ergebnis. Als frühes Beispiel kann der Glaswürfel beim Wettbewerb für das Historische Museum in Berlin herangezogen werden, in den eine Spirale eingefügt wurde. Spirale versus Würfel: ungerichteter, in sich ruhender Körper versus gerichtete Bewegung, Zeit und Geschichte versus Konstante und Kontinuität. Auch anhand der Info-Box lässt sich diese Qualität beschreiben: die ursprüngliche Idee, Schaltafeln als Bild für ein Präsentationsgebäude zur Zeit der Baustelle zu verwenden, ließ sich nicht realisieren – die Frage der Farbe (Schaltafeln waren damals üblicherweise dunkelrot) war damit aber grundsätzlich schon gefunden. Als aufgeständerter Bau hatte er andererseits zwingende Vorteile, die ihn über Schwierigkeiten hinwegtrugen – die Variante, den Quader auf den Boden zu stellen, war wegen unterirdischer Bahnlinien nicht realisierbar. Die eigentliche Idee des Temporären wäre so kaum mehr sichtbar geblieben; eine Idee, die die Verwandtschaft mit einem Denken zeigt, dass die Entwürfe der Architektengruppe Archigram aus den 1960er Jahre trägt.
Gleichermaßen ist die Geschichte des Westhafen-Tower ist in diesem Zusammenhang aufschlussreich. Für den Büroturm, Teil eines Ensembles aus drei Gebäuden und der städtebaulichen Entwicklung des Hafenareals, hatte man ursprünglich im Innern einen runden Kern vorgesehen, um die sich die Erschließung in acht Kreissegmenten legte, an die auch eine umlaufende Treppe angelegt war. Doch auch hier hatte der Bauherr aus Kostengründen sein Veto eingelegt: Der Kern sollte rechtwinklig sein. Dadurch änderte sich der Entwurf, nicht aber die Idee, der nach wie vor eine Spirale zugrunde liegt – hatte sich vorher der Grundriss durch Rotation nach acht Stockwerken vollendet, ist die einfache Rotation nun nach vier Geschossen abgeschlossen.
Ein wichtiges Element des Turms ist seine in je zwei Dreiecke geteilte Rautenstruktur, die das Bild des Rotierens ebenso zulässt, wie es an eine Gitterstruktur denken lässt. Der quadratische Kern nun erlaubte es, die Fassade in gewisser Weise von der inneren Struktur zu lösen: diese Fassade bildet keine innere Raumstruktur ab. Dass der Turm trotz eines quadratischen Kerns rund sein sollte, ließ sich gut begründen – als städtebauliches Zeichen, aus Gründen der Aerodynamik, als Stadteingang, dessen besondere Form auch aus stadtgeschichtlichen Bezügen hergeleitet werden kann. Diese Bedeutungsebene ließ sich vermitteln, ohne Einzelheiten des Entwurfs erläutern zu müssen – der später sich durchsetzende Spitzname „Geripptes“ ist letztlich nur eine von vielen Möglichkeiten, das Haus in einem Bild wiederzugeben. Und obwohl es einer ähnlichen Logik wie Fosters Hochhaus „Gerkin“ folgt, ist es in der Erscheinung doch grundsätzlich anders. Und ein weiteres macht diese Gegenüberstellung deutlich: Die Idee ist in einer solchen Denkweise eine, die nicht an einen konkreten Maßstab gebunden ist – und so ist es auch keine Ineffizienz, wie die Architekten sagen, beim Entwerfen oft zwischen den Bearbeitungsmaßstäben zu wechseln.
Diese Art, Entwerfen zu verstehen, lässt es außerdem zu, dass die architektonische Sprache nicht zu einem Selbstzweck des Marketings wird, wie sie gerade die darin erfolgreichen Architekten dazu zwingt, sich selbst immer wieder zu kopieren. Sie stellt nicht die Frage nach der Handschrift, die das Arbeiten im Team gegen den Einfall des Einzelnen ausspielen muss – beides kann zum Erfolg führen.
Dabei gibt es auch im Büro schneider+schumacher eine Art Ethos, nicht der Versuchung zu erliegen, der Einfachheit halber eine Lösung ein zweites Mal zu verwenden, wenn sie nicht den Ansprüchen genügt, die sie beim ersten Mal erfüllt hat. Das freilich hält jung – und sorgt dafür, auch Aufgaben anzugehen, die schwierig erscheinen, etwa weil das Grundstück einen Zuschnitt hat, der konventionelle Lösungen ausschließt. So war es beim Grünflächenamt, das Büroflächen und Werkstätten unter einem Dach zusammenführt. Für das lange schmale Grundstück direkt am Gleiskörper wurde eine eigene Lösung gefunden. Über dem zweigeschossigen Sockel erhebt sich der fünfgeschossige, weiße Büroriegel mit der charakteristischen gewellten Fassade und dem markanten Dachabschluss, der die darüberliegenden Technikaufbauten zurücktreten lässt. Als Passivhaus, das geschickt eine städtische Restfläche nutzt, wurde es mit einem Preis für nachhaltiges Bauen ausgezeichnet.
Bei aller Neugier und Lust, jedes Projekt so zu beginnen, als wäre es das erste, gibt es die eine Basis, die in gewisser Weise vorgezeichnet hat, was das Büro bis heute an Architektur verwirklicht hatte: die beiden Entwürfe „Hochhaus“ (Till Schneider) und „Metamorphose eines Baggers“ (Michael Schumacher) aus den 1980er Jahren, als beide am Anfang ihrer Karriere standen. So wie das Hochhaus aus der Konstruktion eine Eleganz entwickelt, die aus ihrer eigenen Logik eine Form entwickelt, die eben über die Konstruktion hinausweist, so verändert sich in der „Metamorphose“ der Bagger, indem er „sich selbst verzaubert“: durch das Tun dessen, wofür er konstruiert wurde, das aber zu etwas anderem wird, weil es ohne vorab beschriebenen Zweck, sondern um seiner selbst willen geschieht. Nur so führt es zu einem Ergebnis, das kein Zweck hätte initiieren können. Sind nicht auch die Grafiken von M. C. Escher deswegen so beliebt, weil sie aus der selbstverständlichen Rationalität ausbrechen, indem sie sie bis an ihre Grenzen führen, wo das Logische eigensinnig, unlogisch wird? Mit dem Poetischen verhält es sich so: bleibt es innerhalb der Grenzen dessen, was als poetisch anerkannt wird, dann bleibt es Kitsch. Nach Jan Turnovsky ist hingegen das wahre Poetische „poetisch und gleichzeitig nichtpoetisch, beispielsweise praktisch“. Das heißt aber auch, wie Michael Schumacher es sagt: „Eigentlich kann alles poetisch werden.“
Die Architektur von schneider+schumacher ist klar und braucht keinen ideologischen Überbau. So wie beispielsweise Thompson, das die alten Forderungen der Moderne (und damit ja den Vitruv`schen Kategorien) gänzlich erfüllt. Für Till Schneider ist diesbezüglich ein Bauwerk von persönlicher Bedeutung: Die ellipsenförmige Pinguin Rampe von Berthold Lubetkin im Londoner Zoo. Zwei filigrane, ineinander geschlungene Rampen aus Stahlbeton, über die die Pinguine watscheln konnten. Lubetkin setzte damit ein Zeichen, fügte sich seine Architektur eben nicht in die gängige, meist Natur-imitierende Zooarchitektur – ein Zeichen, das auch verstanden wurde, obwohl diese Architektur sich letztlich für die Pinguinhaltung als ungeeignet erwies: Sie entsprach dem Anspruch der Moderne und war ehrlich. Die berührende Geste der Ernsthaftigkeit, gegenüber Tieren wie Besuchern, die darin wahrgenommen wurde, machte gerade das vermeintlich Funktionalistische emotional. Die Pinguinanlage gehört zu den beliebtesten Projekten der Moderne in England.